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Beispiel für die Treffen-nicht-nötig!-Vertrauensfalle

Die 'Treffen-nicht-nötig!'-Vertrauensfalle droht, wenn Manager aus einer eher beziehungsorientierten Kultur mit Kollegen oder Partnern mit einer eher sachlichen Herangehensweise zusammenarbeiten. Schlägt ein Geschäftspartner eine Gelegenheit zu einem persönlichen Treffen aus, schließen sie möglicherweise fälschlicherweise, dass dieser nicht an einer ernsthaften Zusammenarbeit interessiert ist.

Kulturanalyse: Welche Unterschiede führen in die Vertrauensfalle?

Riskiert der deutsche Lieferant hier bewusst einen Affront? Lehnt er bewusst eine kaum auszuschlagende Anfrage ab? Hätte er umdisponieren können?

Was die Geschäftspartner hier in die kulturelle Vertrauensfalle lockt, ist vor allem die unterschiedliche Einschätzung, wie wichtig der Aufbau und die Pflege einer persönlichen Beziehung zwischen Geschäftspartnern für die geschäftliche Zusammenarbeit sind. Es geht um die im interkulturellen Management grundlegende Unterscheidung zwischen sach- bzw. aufgabenorientierten und beziehungsorientierten Kulturen (deal-focussed vs. relationship-focussed cultures, Gesteland 1996; orientation to the person vs. orientation to the task, Trompenaars & Hampden-Turner 1997). Aus einer beziehungsorientierten Perspektive ist es für den russischen Unternehmenschef selbstverständlich, dass jede Kontaktpflege und jedes persönliche Treffen einen positiven Effekt auf die Zusammenarbeit hat. Je häufiger man sich persönlich sieht und je besser es um die persönliche Beziehung steht, desto reibungsloser funktioniert die berufliche Zusammenarbeit. Denn wenn es einmal Probleme oder Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit gibt – was in jeder Geschäftsbeziehung vorkommen kann – dann hilft die persönliche Beziehung, eine gemeinsame Lösung zu finden. In unserem Fallbeispiel ist es für den Russen selbstverständlich und zudem ein Zeichen der Wertschätzung, dass er seinerseits ein persönliches Treffen möglich macht. Seine Erwartung ist, dass der Deutsche den Wert eines persönlichen Treffens ebenso sieht und sich freut, dass er bereit ist, dafür von Berlin nach Hamburg zu fahren. Dies ist aber nicht der Fall. Den deutschen Manager überrascht die kurzfristige Anfrage, und er erkennt den Sinn und Zweck des Besuchs offenbar nicht. In seinem Verständnis einer sachorientierten Zusammenarbeit nimmt er nur wahr, dass der Russe ein paar Geschäftsfragen besprechen möchte, und es sich geographisch anbietet, das persönlich zu tun.

Das Problem des deutschen Lieferanten ist, dass er zu dem Zeitpunkt, für den der Russe seinen Besuch ankündigt, bereits Terminvereinbarungen getroffen hat. Er hält es für wichtig, sich so zu organisieren, dass man vereinbarte Termine einhalten kann (vgl. Top-10 Vertrauensfaktor Zusagen einhalten). Daher geht er davon aus, dass der Russe Verständnis dafür haben wird, dass er wegen der terminlichen Verpflichtungen so kurzfristig nicht für ein Treffen zur Verfügung stehen kann. Der kann ja schließlich nicht erwarten, dass er wegen ihm alle übrigen Termine über den Haufen wirft!

Eine stärkere Sachorientierung fällt häufig mit einem eher monochronen Arbeitsstil zusammen. Der Unterschied zwischen monochroner und polychroner Herangehensweise an Aufgaben ist ein 'Klassiker' der kulturvergleichenden Forschung (vgl. Hall 1983: 44-58, Hall & Hall 1984, 1990). Monochron bedeutet, dass man dazu tendiert, eine Sache nach der anderen zu erledigen. Man legt Wert auf eine gute zeitliche Ablaufplanung und Terminvereinbarungen und ist bemüht, diese einzuhalten. Genauso fällt Beziehungsorientierung nicht selten mit einem polychronen Arbeitsstil zusammen. Polychron bedeutet, dass man grundsätzlich an mehreren 'Zeitsträngen' gleichzeitig arbeitet voranschreitet, was ein spontanes Springen zwischen unterschiedlichen Projekten oder Vorgängen nötig macht, welches allerdings von Partnern auch akzeptiert wird. In einem solchen polychronen Arbeitskontext hat die Termineinhaltung einen geringeren Stellenwert – man ist generell leichter bereit, ein 'Zu-spät-kommen' in Kauf zu nehmen und, aus Sicht der anderen Seite, zu akzeptieren. Beziehungsorientierung liefert nun einen wichtigen Grund dafür, dass man weniger leicht Termine streng einhalten kann. Die Anforderungen der persönlichen Beziehungspflege machen dies erforderlich – genau wie es der russische Geschäftsmann in unserem Fallbeispiel von seinem deutschen Kollegen erwartete. In beziehungsorientierten Kulturen ist es akzeptiert, dass man zu spät kommt oder sogar Termine verstreichen lässt, um Beziehungsanforderungen gerecht werden zu können.

Ein weiterer Kulturunterschied spielt hier hinein, und zwar bei dem Angebot des Deutschen, ein Treffen mit einem Mitarbeiter zu organisieren. Der deutsche Manager geht davon aus, dass der Russe geschäftliche Fragen besprechen möchte, über die sein Mitarbeiter genauso gut Bescheid weiß wie er. Also sieht er keinerlei Problem darin, seinen Mitarbeiter zu dem Termin zu schicken. Er sieht dies umgekehrt angesichts der Kurzfristigkeit der Terminanfrage sogar als Entgegenkommen. Dies ist auch Ausdruck einer geringeren Hierarchieorientierung im deutschen Unternehmenskontext, welche es ermöglicht, dass bestimmte Termine von fachkompetenten Mitarbeitern statt hierarchisch gleichgestellten Managern wahrgenommen werden. Für den Deutschen ist es keine Respektlosigkeit, den Termin mit dem Mitarbeiter anzubieten (vgl. Vertrauenswarnung in Bezug auf den Top-10 Vertrauensfaktor Respekt und Interesse zeigen). In beziehungsorientierten Kulturen ist es hingegen besonders wichtig, Respekt zu bekunden, indem man mindestens auf der gleichen Hierarchieebene empfängt. In sachorientierten Kulturen gilt dieses Prinzip in abgeschwächter Form. Hier ist es eher möglich, dass eine fachlich kompetente Person empfängt, an welche die eventuell nötigen Entscheidungsbefugnisse delegiert wurden.

Merke: Wenn man aus der Gewohnheit eines direkten Kommunikationsstils heraus den Eindruck hat, der andere habe einem eine Zusage gegeben, diese aber anschließend nicht eingehalten, dann droht die 'War-nichts-vereinbart!'-Vertrauensfalle.