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Praxisbeispiel-Sammlung: Welche Vertrauensfallen haben international tätige Manager selbst erlebt?

Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.

Beispiel: Weniger Teilnehmer geschickt als vereinbart

tl_files/VF-0-flaggen/Deutschland.png  tl_files/VF-0-flaggen/China.png    Deutschland-China

Die Geschäftsführung war mit Frau Reinhard sehr zufrieden. Im Rahmen eines gemeinsamen deutsch-chinesischen Großprojekts hatte sie als Delegationsleiterin in relativ kurzer Zeit einen Vertrag über umfassende Weiterbildungsmaßnahmen mit den chinesischen Partnern ausgehandelt, der bereits von beiden Seiten unterschrieben worden war. Bei der Vertragsunterzeichnung waren auf chinesischer Seite wichtige Parteivertreter anwesend. Die Vertragsunterzeichnung fand in China sogar großes Interesse in den Medien. Der Vertrag legte den Ablauf und Inhalt der Weiterbildungsreihen detailliert fest, so auch die verfügbaren finanziellen Mittel und die jährliche Zahl von Teilnehmern, die im Rahmen der Maßnahme nach Deutschland reisen sollten. Frau Reinhard berichtet:

"Der erste Durchlauf des Trainingsprogramms sollte nur wenige Wochen nach der feierlichen Zeremonie starten. Doch im Rahmen der Vorbereitungen machte ich eine Erfahrung, die mich zweifeln ließ, ob mein Vertrauen, in die chinesischen Vertragspartner gerechtfertigt war: Ich begann sofort nach der Vertragsunterzeichnung mit den Vorbereitungen. Nur einige Tage darauf erhielt ich die Mitteilung, dass weitaus weniger Teilnehmer geschickt werden könnten als vereinbart und auch die Ausgaben erheblich gesenkt werden müssten. Ich schwankte zwischen Enttäuschung und Ärger. Was hatte ich nicht darüber diskutiert! Zu allem Überfluss stellte die deutsche Geschäftsführung nun auch noch mein Verhandlungsgeschick in Frage."

Quelle: Kulturstandard-Forschung / A. Thomas

Was ist passiert?

Frau Reinhard hat in den Verhandlungen mit den chinesischen Partnern großes Verhandlungsgeschick gezeigt und für ihr Unternehmen gute Vertragsbedingungen ausgehandelt – bezüglich Ablauf und Inhalten des Programms, Finanzierung, Teilnehmerzahl etc. Dies gelang ihr noch dazu in kurzer Zeit. Die Tatsache, dass an der Vertragsunterzeichnung wichtige Parteivertreter teilnahmen, und das Medienecho zeigen, dass das Geschäft von chinesischer Seite aus als wichtig wahrgenommen wird. Doch schon bei der ersten Umsetzungsrunde zeigt sich, dass die ausgehandelten Vertragsbedingungen von den chinesischen Partnern nicht eingehalten werden: Die Mittel werden gekürzt und die Teilnehmerzahl wird herabgesetzt. Für Frau Reinhard – und auch ihre Geschäftsführung – ist das ein ganz klarer Vertragsbruch. Die Vereinbarungen des Vertrags werden nicht eingehalten. Das ist ein offensichtlicher Grund, das Vertrauen in die Geschäftspartner infrage zustellen – und zwar in Bezug auf den Top-10-Vertrauensfaktor Zusagen einhalten.

Das Erlebnis von Frau Reinhard und ihrer Geschäftsleitung ist ein Beispiel für die 'War-nicht-zu-machen!'-Vertrauensfalle (vgl. Überblick wichtiger Vertrauensfallen). In die Falle führt ein Kulturunterschied im Verständnis der Gültigkeit von Regeln und Vereinbarungen. In einigen, sogenannten ‘universalistischen‘ Kulturen werden Regeln, Vorschriften und Vereinbarungen grundsätzlich als situationsübergreifend (universell) gültig betrachtet. Demgegenüber geht man in anderen, ‘partikularistischen‘ Kulturen davon aus, dass Regeln und Vereinbarungen situationsspezifisch auszulegen und gegebenenfalls anzupassen sind.

Ein wichtiger Aspekt für Vertrauen in universalistischen Kulturen ist, dass einmal getroffene Vereinbarungen wenn irgend möglich auch eingehalten werden (das versteht man hier unter Zusagen einhalten) – das ist in dem Beispiel die Perspektive Frau Reinhards und ihrer Geschäftsleitung. Sie würden es vielleicht akzeptieren, wenn ihre chinesischen Partner über viele Jahre hinweg die Vertragsvereinbarungen eingehalten hätten und dann in einem wirtschaftlich schwierigen Jahr anfragten, ob sie ausnahmsweise weniger Teilnehmer schicken könnten. Aber dass dies unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung passiert, ist für die deutsche Seite völlig unerwartet und inakzeptabel.

Aus der chinesischen Perspektive sieht dies anders aus: Es ist durchaus möglich – vielleicht sogar wahrscheinlich –, dass die Vereinbarungen über Teilnehmerzahlen und Finanzierung im ersten Jahr nicht im vollen Umfang eingehalten werden können. Die Vertreter des chinesischen Unternehmens gehen möglicherweise davon aus, dass durchaus zu erwarten und auf jeden Fall zu akzeptieren ist, dass ein solches Projekt eine gewisse Anlaufzeit benötigt. Auch in einem späteren Jahr können spezifische Rahmenbedingungen dazu führen, dass weniger Teilnehmer geschickt werden als vertraglich geplant. Es wird dann erwartet, dass man mit den getroffenen Vereinbarungen flexibel umgeht. Tut dies die Gegenseite nicht, so kann dies umgekehrt als Grund gelten, Vertrauen infrage zu stellen – in Bezug auf den Vertrauensfaktor Absprachen / Regeln flexibel handhaben. Dies ändert nichts an der grundsätzlichen Vereinbarung über eine bestimmte Anzahl von Teilnehmern für einen festgelegten Zeitraum. Insofern würden die Chinesen abstreiten, dass man davon sprechen könne, sie hätten ihre Zusage nicht eingehalten und einen Vertragsbruch begangen.

Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 7.3.

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