Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Frankreich-Deutschland
Ein französischer Manager berichtet über einen Mitarbeiter in Deutschland, der ihm zuarbeitet:
„Das war jemand, bei dem habe ich irgendwann gemerkt, dass ich ihm nicht vertrauen kann, dass er Aufgaben voranbringt. Ein Beispiel: Unsere deutsche Niederlassung sah sich mit einer steuerrechtlichen Änderung konfrontiert, woraufhin ich den deutschen Mitarbeiter aufforderte, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Meiner Ansicht nach hätte der Mitarbeiter das schnell erledigen können. Er hätte sich ein bisschen informieren können, ein bisschen rechts und links mit einem Anwalt, Notar oder Berater sprechen können, das Problem analysieren und mit solchen Partnern zusammen eine Lösung entwickeln können. Doch obwohl es eigentlich hätte schnell gehen können, passierte, nachdem ich ihm diese Anweisung gegeben hatte, monatelang nichts. Obwohl ich wiederholt nachfragte, passierte Monat für Monat einfach nichts. Ich kam daher zu dem Schluss, dass diese Person von ihren technischen Fähigkeiten her nicht in der Lage war zu verstehen, was ich von ihr verlangte.“
Quelle: TRIM-Projekt / R. Münscher & J. Hormuth
Der von uns interviewte französische Top-Manager, Finanzchef Westeuropa im Konzern, beschreibt, warum er einem deutschen Mitarbeiter nicht vertrauen kann: Dieser tat schlicht nicht, was er ihm aufgetragen hatte. Das ist für ihn ein Grund, sein Vertrauen in den Mitarbeiter infrage zu stellen – und zwar in Bezug auf den von uns beschriebenen Vertrauensfaktor Anweisungen umsetzen. Seine Interpretation geht aber noch einen Schritt weiter: Aufgrund des Verhaltens des deutschen Mitarbeiters kommen dem französischen Vorgesetzten Zweifel an der Fachkompetenz des Deutschen (vgl. Vertrauensfaktor Kompetent sein / sich auskennen). Sein Schluss: Dieser Mitarbeiter ist leider fachlich nicht gut genug, um bei bestimmten Anweisungen zu verstehen, worum es geht. Dabei erschien die Aufgabe dem Franzosen noch nicht einmal besonders schwierig und zeitaufwändig („Meiner Ansicht nach hätte der Mitarbeiter das schnell erledigen können“).
Ein kultureller Unterschied in der 'Detaillierungspräferenz' lockt den französischen Vorgesetzten und den deutschen Mitarbeiter in die 'Werd-erstmal-konkret!'-Vertrauensfalle (vgl. Überblick wichtiger Vertrauensfallen). Was ist der angemessene Detaillierungsgrad von Anweisungen? In der Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern gibt es im Vergleich von Kulturen unterschiedliche Detaillierungspräferenzen für die Formulierung von Arbeitsaufträgen. In manchen Kulturen sind Anweisungen eher als allgemeine Richtungsvorgaben formuliert. Es ist dann Aufgabe (und Freiheit) des Mitarbeiters, mit den ersten Schritten der Umsetzung den Arbeitsauftrag weiter zu konkretisieren und diese Konkretisierungsschritte mit dem Vorgesetzten abzustimmen. In anderen Kulturen erwarten Mitarbeiter vom Vorgesetzten, dass er entsprechende Konkretisierungen vorgibt oder mit ihnen entwickelt, bevor sie mit der Umsetzung beginnen. Bevor ein Arbeitsauftrag ein gewisses Konkretisierungsminimum besitzt, gehen sie davon aus, dass noch nicht mit der Umsetzung begonnen werden soll.
In unserem Beispiel interpretiert der französische Manager das Verhalten des Deutschen als Nicht-Umsetzen einer Anweisung. Doch es ist gut möglich, dass dem Deutschen gar nicht klar ist, dass er aus Sicht seines Vorgesetzten eine Anweisung erhalten hat, dass also bereits ein Arbeitsauftrag besteht. Entsprechend kann aus seiner Sicht auch nicht die Rede davon sein, dass er ‘eine Anweisung nicht umgesetzt’ hat. Für den Franzose entsteht aus dessen Sicht der Dinge jedoch eine Vertrauenswarnung Inkompetenz – die kulturelle Vertrauensfalle ist zugeschnappt.
Solche Unterschiede der Detaillierungspräferenz bei Anweisungen hängen damit zusammen, wie man tendenziell in einer Kultur an Aufgaben herangeht: Wie gut oder umfassend plant man ein Vorhaben, bevor man zur Umsetzung der Aufgabe schreitet? Während man in manchen Kulturen die Sicherheit und Effizienz einer guten Planung höher schätzt, bevorzugt man in anderen Kulturen den direkteren Realitätsbezug einer schnelleren Umsetzung von Aufgaben. Man bespricht die Richtung, einigt sich auf allgemeine Zielvorstellungen und legt los. Mögliche Fragen oder Probleme geht man dann an, wenn sie sich konkret stellen.
Eine ausführlichere Analyse eines weiteren Beispiels der 'Werd-erstmal-konkret!'-Vertrauensfalle finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 10.1.
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