Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Deutschland-Russland
Frau Lorenz, Sales Managerin eines deutschen Automobilzulieferers, hat seit 15 Jahren Kontakt zu russischen Kunden. Sie berichtet von folgender Erfahrung:
"Zu Beginn meiner Tätigkeit gab es Situationen, in denen wir gesagt haben: 'Das Verhalten des Kunden können wir so nicht akzeptieren. Der hat nicht die Wahrheit gesagt.' Zum Beispiel haben wir folgendes Erlebnis gemacht: Wir haben eine unserer Komponenten an eine Firma geliefert. Der Kunde, ein LKW-Hersteller, baute sie im Fahrzeug ein und machte dabei einen Konstruktionsfehler. Die Komponente war zwar grundsätzlich richtig eingebaut, aber an irgendeiner Stelle hat es geklemmt, und das war ein Konstruktionsfehler. Als die Fahrzeuge dann ausgeliefert wurden, ging eins nach dem anderen kaputt. Der Endkunde saß da und fing an zu schauen, woran liegt das. Unser Kunde versuchte natürlich, die Schuld beim Lieferanten, bei uns, zu finden. Wir setzten uns hin und fanden den Fehler und wiesen den Kunden darauf hin: 'Das ist dein technisches Problem gewesen, du muss es beheben, wir unterstützen dich auch. Die Sache ist nur, du muss es zugestehen nach außen.' Das war problematisch, sie stellten sich quer, um einfach das Gesicht nicht zu verlieren und sagten: 'Das ist immer noch Euer Lieferantenproblem, wir stehen nicht dazu.' Es wurden weiter Fehler gemacht, und es gab weitere Ausfälle, bis wir irgendwann gemeinsam an dem Punkt kamen, wo es nicht mehr ging. Das hat schon zu Vertrauensverlust geführt."
Quelle: TRIM-Projekt / R. Münscher & J. Hormuth
Frau Lorenz bezeichnet das Verhalten ihres Kunden als inakzeptabel: „Der hat nicht die Wahrheit gesagt.“ Das ist für sie ganz klar ein Grund, das Vertrauen in den Kunden infragezustellen. Es geht für sie um den wichtigen Vertrauensfaktor Nichts vortäuschen – der Faktor zählt zu den Top-10-Vertrauensfaktoren. Frau Lorenz wird in ihrer Darstellung der Situation jedoch noch konkreter: Was täuscht der Kunde konkret vor? Es geht um einen Fehler, einen Konstruktionsfehler, den der Kunde gemacht hat, aber sowohl ihr gegenüber als auch dem Endkunden gegenüber nicht eingesteht. Für Frau Lorenz ist nachvollziehbar und auch akzeptabel, dass man solche Fehler macht. Sie bietet dem Kunde sogar an, ihn dabei zu unterstützen, den Fehler zu beheben. Zentral für das Thema Vertrauen ist für sie jedoch, dass man solche Fehler auch eingesteht (vgl. Vertrauensfaktor Fehler / Schwächen eingestehen). Um dem Endkunde deutlich zu machen, dass der Fehler nicht bei ihrem Unternehmen liegt, und um einfach die Situation klarzustellen. Das der Kunde dies nicht macht, führt dazu, dass Frau Lorenz ihr Vertrauen in den Kunde infrage stellt.
Frau Lorenz' Erlebnis ist ein Beispiel für die 'Probleme-im-Griff!'-Vertrauensfalle. Der Kulturunterschied, der für die Falle zentral ist, ist die kulturell unterschiedliche Bedeutung von gesichtswahrender Kommunikation bzw. 'Facework'. Da die Falle häufig in der Chef-Mitarbeiter-Kommunikation auftritt (vgl. das Beispiel „Falsches Mansanilo – Mitarbeiter informiert Chef nicht von sich aus“), kommt häufig ein unterschiedliches Hierarchieverständnis hinzu. In dem vorliegenden Beispiel geht es jedoch um die Kunde-Lieferanten-Kommunikation.
Was heißt gesichtswahrende Kommunikation in der beschriebenen Situation? Grundsätzlich wichtig für die soziale Interaktion ist die Wahrung des Gesichts – und zwar nicht nur des Gesichts des Gesprächspartners, sondern auch des eigenen Gesichts. Darum geht es bei der 'Probleme-im-Griff!'-Vertrauensfalle. Ein Thematisieren von Problemen bei der eigenen Arbeit und insbesondere das Eingeständnis eigener Fehler ist in vielen Kulturen mit einer Gesichtsbedrohung verbunden. Frau Lorenz sieht selbst, dass der Kunde wohl vor allem deshalb den eigenen Fehler nicht eingesteht, „um einfach das Gesicht nicht zu verlieren“. Dass der Kunde versucht, die Schuld auf den deutschen Automobilzulieferer zu schieben, ist also keine böse Absicht gegenüber dem deutschen Partner, sondern vielmehr ein Versuch, vor den Geschäftspartner (Kunde und Zulieferer) gut dazustehen.
Hinzu kommt, dass der Kunde den offenen Umgang mit Problemen ganz anders bewertet als der deutsche Partner. Für den russischen Kunde besitzt ein offener Umgang mit Problemen und Konflikten (vgl. Vertrauensfaktor Konflikte offen und proaktiv managen) keinen Wert. Dass Frau Lorenz anbietet, den Kunde bei der Behebung des Problems zu unterstützen, ist für ihn kein Entgegenkommen, das er positiv bewertet. Sondern Frau Lorenz' Aussage unterstützt aus seiner Perspektive gerade noch die Gesichtsbedrohung. Er würde sich viel lieber darum bemühen, das Problem möglichst unauffällig zu bewältigen. Am besten, die Geschäftspartner merken nichts davon und man kann die Probleme ohne viel Aufhebens zu machen aus dem Weg schaffen.
Eine ausführlichere Analyse eines weiteren Beispiels der 'Probleme-im-Griff!'-Vertrauensfalle finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 11.2.
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