Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Deutschland-Indien
Die Logistikfirma, für die Herr Bucher in Indien arbeitet, erhielt den Auftrag, eine Fracht von Mumbai nach Mansanilo, Mexiko, zu versenden. Herr Bucher machte in diesem Kontext folgende Erfahrung:
"Ich bat Herrn Souza, einen meiner erfahrensten indischen Mitarbeiter, sich um die Sache zu kümmern. Da der Auftrag sehr wichtig war, bat ich Herrn Souza, sich sofort bei mir zu melden, wenn es Schwierigkeiten geben sollte – damit wir in diesem Fall gemeinsam nach einer Lösung für das Problem suchen könnten. Nach einiger Zeit erfuhr ich zufällig, dass sich die Fracht schon seit einer Woche im falschen Hafen befand, nämlich in der gleichnamigen Stadt Mansanilo in Panama. Ich ging sofort zu Herrn Souza, aber dieser entgegnete ganz gelassen, dass er schon an einer Lösung arbeite. Ich war außer mir, dass er mich nicht informiert hatte, obwohl ich ihn mehrmals darum gebeten hatte, mich auf dem Laufenden zu halten."
Quelle: Kulturstandardforschung / A. Thomas
Das Erlebnis von Herrn Bucher ist ein Beispiel für die 'Probleme-im-Griff!'-Vertrauensfalle. Nachdem Herr Bucher die Zuständigkeit für den wichtigen Auftrag 'Mumbai-Mansanilo/Mexiko' an Herrn Souza übergeben hat, wäre es dessen Aufgabe, Herrn Bucher nach Feststellung der unvorhergesehen Falschversendung nach Mansanilo/Panama zu informieren. Dies tut er nicht, was für Herrn Bucher ein klarer Grund ist, sein Vertrauen in Herrn Souza infrage zu stellen – und zwar in Bezug auf den von uns beschriebenen Vertrauensfaktor Bei kritischen Problemen informieren.
Eventuell schätzt Herr Souza trotz Herrn Buchers Hinweis die Lage nicht richtig ein und misst der Sache nicht die Wichtigkeit bei, die Herr Bucher sieht (und eigentlich auch kommuniziert hat). Er schätzt die Situation also nicht als kritisches Problem ein, und dies würde entschuldigen, dass er sich nicht beim Vorgesetzten meldet. Allerdings käme dann aus Sicht von Herrn Bucher ein anderes Problem ins Spiel: Warum schätzt der Mitarbeiter die Lage dermaßen falsch ein? Herr Bucher könnte das Verhalten des Inders als nicht vertrauenswürdig in Bezug auf den Vertrauensfaktor Kompetent sein / sich auskennen interpretieren.
Schließlich spielt noch ein weiterer Aspekt, der relevant ist für Vertrauen, eine Rolle in dem Fallbeispiel: Dass sich herausstellt, dass es in Lateinamerika gleich zwei Hafenstädte mit dem schönen Namen 'Mansanilo' gibt, ist aus Sicht der indischen Logistiker natürlich sehr ärgerlich. Es hat dazu geführt, dass ein Problem entstanden ist, von dem zunächst einmal gar nicht klar ist, wo in der Kette der Beteiligten der Fehler entstanden ist. Andererseits ist wiederum klar, dass der mit der Sache beauftragte Herr Souza die Sache gegenüber seinem Linienvorgesetzen zu verantworten hat. Dies zwingt ihn jedoch in eine Situation hinein, in welcher er – zumal gegenüber dem Chef – einen Fehler zugeben muss. Genau das ist es, was er letztlich vermeidet. Für Herrn Bucher ist dies ein weiterer Grund, sein Vertrauen in Herrn Souza infragezustellen (Vertrauensfaktor Fehler / Schwächen eingestehen).
Der zentrale Kulturunterschied, der in die 'Probleme-im-Griff!'-Vertrauensfalle führt, ist das unterschiedliche Hierarchieverständnis der Beteiligten. In einer hierarchisch geprägten Kultur wie der indischen zählt es in herausragender Weise, vor dem Vorgesetzten gut dazustehen. Man versucht tendenziell, dem Vorgesetzten zu zeigen, dass alles bestens läuft und man seine Sachen im Griff hat. Aber: „Wenn zu mir jemand sagt 'no problem', dann weiß ich schon 'big problem'“ – so ein Interviewpartner aus der deutsch-indischen Vertrauensstudie im Rahmen des TRIM-Projekts.
Das gilt insbesondere für Kulturen, in denen die Mitarbeiter-Vorgesetzten-Beziehung paternalistische Züge hat (z.B. Indien, Brasilien). Eine Führungsbeziehung impliziert in einem paternalistischen Verständnis, dass der Vorgesetzte, ähnlich wie das Familienoberhaupt einer Großfamilie, streng über die Mitarbeiter wacht, andererseits für sie aber auch die Unterstützer- und Beschützerfunktion übernimmt. Für einen Mitarbeiter heißt dies, dass er stark von der Unterstützung und letztendlich dem Wohlwollen seines Vorgesetzten abhängig ist. Daher versucht er, das Wohlwollen und die Unterstützung des Vorgesetzten möglichst nicht aufs Spiel zu setzen, indem er von sich aus aktiv auf eigene Fehler oder Schwächen hinweist.
Warum Mitarbeiter es für wichtiger nehmen, vor dem Chef keine Fehler eingestehen zu müssen, als der Aufforderung nachzukommen, den Chef bei Problemen zu informieren, lässt sich manchmal mithilfe des Konzepts des 'Facework' erklären: Grundsätzlich wichtig für die soziale Interaktion ist insbesondere in asiatischen Kulturen die Wahrung des Gesichts – und zwar nicht nur des Gesichts des Gesprächspartners, sondern auch des eigenen Gesichts. Ein Thematisieren von Problemen bei der eigenen Arbeit und insbesondere das Eingeständnis eigener Fehler wäre für Herrn Souza eine Gesichtsbedrohung vor dem Chef, die er unbedingt vermeiden möchte. Hinzu kommt, dass Herr Souza den offenen Umgang mit Problemen (vgl. Vertrauensfaktor Konflikte offen und proaktiv managen) ganz anders bewertet als sein deutscher Chef. Für den indischen Mitarbeiter besitzt ein offener Umgang mit Problemen und Konflikten keinen Wert. Für ihn geht es vielmehr umgekehrt darum, Probleme und Konflikte möglichst unauffällig zu bewältigen. Am besten, der Chef merkt nichts und man kann die Probleme ohne viel Aufhebens zu machen aus dem Weg schaffen.
Schließlich ist für das Verständnis des Fallbeispiels noch ein weiterer Aspekt wichtig: In hierarchisch orientierten Kulturen ist es eher unüblich, dass Mitarbeiter von sich aus etwas gegenüber dem Chef kommunizieren. Der übliche Kommunikationsweg ist vielmehr „von oben nach unten“. Dies gilt insbesondere für Probleme und Kritik, aber auch für Expertenwissen oder fachliche Details. Ein Mitarbeiter bringt nur dann sein Wissen ein, wenn er vom Chef gefragt wird. Kritik zu äußern ist überhaupt nur dann möglich, wenn der Chef explizit danach fragt. Und auch über aufgetretene Probleme informiert man nicht von sich aus, sondern wenn man vom Vorgesetzten danach gefragt wird.
Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 11.2.
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