Im internationalen Management drohen Vertrauensfallen: Aufgrund kultureller Unterschiede bleibt man misstrauisch, Vertrauen entwickelt sich viel zu langsam oder man verliert es gar – obwohl es eigentlich keinen Grund gibt, nicht zu vertrauen.
Doch wie man solche Fallen vermeiden und die Vertrauensentwicklung fördern kann, lässt sich lernen. Dieses Buch ...
„Herr Meister (leitender Angestellter, französische Geschäftsbank) berichtet über einen französischen Kollegen, mit dem ein wichtiger Kundentermin anstand: „Wir hatten eine gemeinsame Vorgehensweise für das Meeting vereinbart. Und in diesem Meeting hält diese Person sich nicht daran! Zum eigenen Vorteil! Und zu meinem Nachteil. Und diese Person, mit der werde ich nie wieder ...“
Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.
Frankreich-Deutschland
Ein französischer Manager erzählt einen Vorfall, bei welchem er zusammen mit einem französischen Kollegen zu einem Termin beim deutschen Kunden war:
„Ich erinnere mich an einen deutschen Kunden, bei dem wir einmal um 11.30 Uhr einen Termin in der Konzernzentrale hatten. Es gab dort ein sehr schönes Restaurant. In Frankreich wären wir automatisch in das Restaurant eingeladen worden - automatisch! Dort war das überhaupt nicht der Fall. Mich hat das nicht weiter gewundert - als Franzose, der seit einiger Zeit in Deutschland lebt. Mein Kollege war allerdings etwas überrascht, als man uns um 1.00 Uhr praktisch vor die Tür setzte, obwohl es das Restaurant gab, das quasi zum Unternehmen gehörte. Das ist schon lustig."
Quelle: TRIM-Projekt / R. Münscher & J. Hormuth
Aus französischer Perspektive ist das Verhalten der deutschen Kunden brüskierend: In einer Situation, in der es geradezu auf der Hand liegt, über das Geschäftliche hinaus etwas Zeit miteinander zu verbringen und den Partner zum Mittagessen einzuladen, setzen die Deutschen ihre Geschäftspartner quasi auf die Straße. Insbesondere für den Kollegen, der im deutsch-französischen Management weniger erfahren ist, ist dieses Verhalten überraschend und vertrauenskritisch: Nicht nur, dass es die Regeln der Politesse gebieten würden, in dieser Situation die Geschäftspartner einzuladen (vgl. den Vertrauensfaktor Respekt und Interesse zeigen). Aus einer beziehungsorientierten Perspektive ist dies auch im Hinblick auf die Gepflogenheiten der Kontaktpflege ein Faux Pas. Wie können die Deutschen eine dermaßen offensichtliche Gelegenheit, ein Mittagessen zur Beziehungspflege nutzen zu können, einfach ignorieren? Dieses Verhalten führt dazu, dass der Franzose sein Vertrauen in die Geschäftspartner auch in Bezug auf den Vertrauensfaktor Kontakt pflegen / viel kommunizieren infrage stellt.
Verantwortlich für die 'Treffen-nicht-nötig!'-Vertrauensfalle ist ein kultureller Unterschied im Bezug auf die Rolle von Beziehungsaufbau und -pflege. Aus beziehungsorientierter Perspektive ist es selbstverständlich, dass jede Kontaktpflege und jedes persönliche Treffen einen positiven Effekt auf die Zusammenarbeit hat. Je häufiger man sich persönlich sieht und je besser es um die persönliche Beziehung steht, desto reibungsloser funktioniert die berufliche Zusammenarbeit. Denn wenn es einmal Probleme oder Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit gibt – was in jeder Geschäftsbeziehung vorkommen kann – dann hilft die persönliche Beziehung, eine gemeinsame Lösung zu finden. Daher bemüht man sich, wann immer möglich, auch auf persönlicher Ebene einen Austausch zu finden. Ein gemeinsames Mittagessen ist eine hervorragende Gelegenheit hierzu. Nutzen man diese nicht, so wird dies als Respektlosigkeit und offensives Desinteresse an der Geschäftsbeziehung interpretiert. Man schließt, dass der Geschäftspartner nicht an einer ernsthaften Zusammenarbeit interessiert ist, denn sonst würde er ein Treffen möglich machen – und stellt daher das Vertrauen in den Geschäftspartner infrage.
Aus der Perspektive der deutschen Geschäftspartner ist dies nicht nachvollziehbar: Wenn man alles Geschäftliche klären konnte, ist das Ziel des Termins erreicht. Wenn es keine akute sachliche Notwendigkeit für eine Verlängerung des Treffens gibt, ist eine Beendigung des Termins nachvollziehbar und nicht grundsätzlich problematisch. Ein gemeinsames Mittagessen wäre zwar nett, ist aber nicht erwartbar. Die deutschen Geschäftspartner sehen überhaupt kein Problem darin, den Termin um 13.00 Uhr zu beenden – zumal alle Beteiligten unter Zeitdruck stehen. Die deutsche Sichtweise geht nämlich noch einen Schritt weiter: Sie sehen es geradezu als Zeichen der Höflichkeit, die Zeit des Geschäftspartners nicht noch länger zu beanspruchen. Eine geringere Beziehungsorientierung fällt in vielen Kulturen zusammen mit einem geordneteren und effizienteren Umgang mit Zeit. Man legt Wert auf eine gute und effiziente zeitliche Ablaufplanung und auf Terminvereinbarungen und ist bemüht, diese einzuhalten. Eine sachlich nicht notwendige Verlängerung eines Termins wird tendenziell als 'Zeitverschwendung' gesehen. Denn es gilt: Ein Verlängerung des Treffens ist nicht wirklich nötig!
Eine ausführlichere Analyse eines weiteren Beispiels der 'Treffen-nicht-nötig!'-Vertrauensfalle finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 12.1.
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