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Praxisbeispiel-Sammlung: Welche Vertrauensfallen haben international tätige Manager selbst erlebt?

Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.

Beispiel: Plötzlich stehen wir vor einem ganz anderen Unterlieferanten

tl_files/VF-0-flaggen/Deutschland.png  tl_files/VF-0-flaggen/China.png    Deutschland-China

Herr Schmidt, Einkaufsleiter eines deutschen Großunternehmen, der seit über 15 Jahren in China tätig ist, berichtet von einem vertrauenskritischen Erlebnis mit einem Lieferanten:

"Ich habe zum Beispiel einen Lieferanten bei Peking, wo wir ein Projekt angefangen habe. Wir waren dort mit Kollegen aus Deutschland und haben uns alles angeschaut, und es war auch alles okay. Die Sachen, die der Lieferant nicht machen konnte, wurden an einen Unterlieferanten weitergegeben. Und dieser Unterlieferant war auch okay. Mit dem konnten wir das machen. Ein Jahr später hatten wir plötzlich ein Qualitätsproblem. Wir sind wir wieder hingegangen und wollten auch zu dem Unterlieferanten. Da standen wir plötzlich vor einem ganz anderen Unterlieferanten, dem wir überhaupt keine Zusage gegeben hatten. Was da noch dazu kommt in China, ist eine enorme Fluktuation der Leute. Nach dem Jahr war auch schon gar keiner mehr da, mit dem ich die Sachen besprochen hatte. Ich hatte das schon alles schriftlich, aber in dem Moment war keiner mehr da, mit dem ich das besprochen hatte. In dieses bestimmte Unternehmen hatte ich dann kein Vertrauen mehr. Wir konnten die Beziehungen mit dem Lieferanten nicht gleich beenden, weil wir projektgebundene Aufträge bei ihm hatten, die noch zwei Jahre liefen, aber danach lässt man so eine Beziehung dann auslaufen und platziert da nichts Neues mehr."

Quelle: TRIM-Projekt / R. Münscher & J. Hormuth

Was ist passiert?

Herr Schmidt ist über das Verhalten seines chinesischen Lieferanten enttäuscht: Er hatte diesen Lieferanten für ein neues Projekt in China ausgewählt, nachdem er sich das Unternehmen vor Ort angesehen, sich von der Qualität der Produkte überzeugt hatte und mit diesem über die konkreten Lieferbedingungen einig geworden war. Teil dieser Bedingungen war, dass der Lieferant Teilaufträge, die er nicht selbst ausführen konnte, an einen bestimmten Unterlieferanten weitergibt. Herr Schmidt hatte dem zugestimmt, nachdem er sich auch von der Qualität des Unterlieferanten überzeugt hatte. Erst als es eines Tages Probleme mit der Qualität des Endprodukts gibt, stellt sich heraus, dass der Lieferant irgendwann den Unterlieferanten gewechselt hat, ohne Herrn Schmidt darüber zu informieren. Er hat sich also offenbar nicht an die Lieferbedingungen gehalten – obwohl diese schriftlich vereinbart waren! Noch dazu übernimmt keiner der Chinesen so richtig Verantwortung für die Vereinbarung, denn die Ansprechpartner hatten in der Zwischenzeit auch gewechselt. Offenbar konnte man sich also bei dem Lieferanten nicht darauf verlassen, dass Vereinbarungen über längere Zeit eingehalten werden, selbst wenn diese schriftlich vereinbart waren. Das ist für Herrn Schmidt ein Grund, sein Vertrauen in den Lieferanten infrage zu stellen, und zwar in Bezug auf den von uns beschriebenen Top-10-Vertrauensfaktor Zusagen einhalten.

Herr Schmidts Erlebnis ist ein Beispiel für die 'War-nicht-zu-machen!'-Vertrauensfalle (vgl. Überblick wichtiger Vertrauensfallen). Der Kulturunterschied, der für die Falle verantwortlich ist, ist ein Unterschied im Verständnis der Gültigkeit von Regeln und Vereinbarungen. In einigen, sogenannten 'universalistischen' Kulturen werden Regeln, Vorschriften und Vereinbarungen grundsätzlich als situationsübergreifend (universell) gültig betrachtet. Demgegenüber geht man in anderen, 'partikularistischen' Kulturen davon aus, dass Regeln und Vereinbarungen situationsspezifisch auszulegen und gegebenenfalls anzupassen sind.

Aus einer 'universalistischen' Perspektive heraus erwartet Herr Schmidt, dass der chinesische Lieferant sich zu 100% an seine Vereinbarungen hält. Dazu gehört auch, dass er (nur!) den Unterlieferanten einsetzt, zu dem Herr Schmidt seine Zustimmung gegeben hat. Wenn er den Unterlieferanten wechselt, noch dazu ohne Herrn Schmidt darüber zu informieren, so ist dies für Herrn Schmidt ein Nicht-Einhalten der Bedingungen der Vereinbarung – also ein Vertrauensbruch. Der chinesische Lieferant hätte die Situation sicherlich abschwächen können, indem er Herrn Schmidt zumindest über die Änderung informiert hätte (vgl. Vertrauensfaktor Bei Nicht-Einhalten von Zusagen informieren). Letztendlich wäre es aber aus Herr Schmidts Perspektive notwendig gewesen, dass er nicht nur informiert wird, sondern erneut eine Zustimmung zu dem neuen Unterlieferanten gibt.

Aus der Perspektive des chinesischen Lieferanten sieht die Situation anders aus: Im Laufe des Jahres haben sich die Bedingungen des Marktes geändert. Der Lieferant konnte nicht mehr den gleichen Unterlieferanten verwenden wie zuvor. Entweder waren die Preise des Unterlieferanten gestiegen, oder dieser Unterlieferant hatte sein Angebotsportfolio geändert, oder es gab irgendeinen anderen Grund. Also musste er sich einen neuen Unterlieferanten suchen. Da der Kunde grundsätzlich zugestimmt hatte, einen Unterlieferant einzubeziehen, sah er keine Notwendigkeit, diesen über die Änderung zu informieren oder gar eine erneute Zustimmung vom Kunde einzuholen. Der Kunde wird ihm ja wohl zutrauen, einen vernünftigen Ersatz zu finden – zumal er die Unternehmen und die Marktsituation in China viel besser kennt als der Kunde aus Deutschland.

Dass der neue Unterlieferant offenbar Qualitätsprobleme verursacht hat, ist für den Lieferanten natürlich unangenehm. Er wird selbstverständlich dafür sorgen, dass diese Probleme behoben werden. Aber das war für ihn nicht absehbar. Er hatte sich nach bestem Wissen und Gewissen für den Unterlieferanten entschieden. Dass der Kunde darauf pocht, er hätte die vereinbarten Bedingungen nicht eingehalten und hätte bei dem Wechsel des Unterlieferanten erneut seine Zustimmung einholen müssen, kann der Unterlieferant nicht nachvollziehen. Für ihn zählt der Wechsel des Unterlieferanten zu den völlig normalen Veränderungen und Anpassungen im Laufe einer Projektabwicklung.

Eine ausführlichere Analyse eines anderen Beispiels für die 'War-nicht-zu-machen!'-Vertrauensfalle finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 7.3.

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