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Praxisbeispiel-Sammlung: Welche Vertrauensfallen haben international tätige Manager selbst erlebt?

Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.

Beispiel: Qualitätskontrolle – Auswahl der Schulungsteilnehmer

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Herr Kramer soll in seiner Firma eine neue Methode zur Qualitätskontrolle einführen. Dafür sollen einige Mitarbeiter ein spezielles Training erhalten. Im Zuge der Einführung dieser Qualitätskontrolle macht er folgende Erfahrung mit dem indischen Werksleiter:

„Da Herr Ganesh, der indische Werksleiter, für die Produktion verantwortlich ist und er die Mitarbeiter zudem am besten kennt, beauftragte ich ihn, innerhalb einer Woche zu entscheiden, wer an dem Training teilnehmen soll. In der folgenden Zeit rief er mich mindestens dreimal täglich an, um mich zu fragen, ob dieser oder jener Mitarbeiter geeignet sei. Ich versuchte, ihm jedes Mal klarzumachen, dass es seine Aufgabe sei, diese Entscheidung zu treffen, und er mich nicht wegen jedem einzelnen Mitarbeiter um Rat fragen solle. Trotzdem rief Herr Ganesh immer wieder an. Ich war zunehmend genervt."

Quelle: Kulturstandardforschung / A. Thomas

Was ist passiert?

Herr Kramers Fall ist ein Beispiel für die 'Chef-hat-Vortritt!'-Vertrauensfalle: (vgl. Überblick wichtiger Vertrauensfallen) Herr Kramer ist von seinem indischen Mitarbeiter enttäuscht, denn dieser hat offenbar seine Anweisung nicht umgesetzt bzw. er ist offenbar nicht in der Lage, die Anweisung selbständig umzusetzen. Für Herrn Kramer steht also sein Vertrauen in den Mitarbeiter in Bezug auf zwei 'Vertrauensfaktoren' infrage: Anweisungen umsetzen und Selbständig arbeiten.

Wie entsteht die Vertrauensfalle?

Aus der Perspektive des indischen Mitarbeiters sieht die Sache jedoch ganz anders aus. Was Herrn Kramer hier in die 'Chef-hat-Vortritt!'-Vertrauensfalle führt, ist ein Kulturunterschied im Hierarchieverständnis. Gemäß seinem partizipativen Führungsstil erwartet Herr Kramer, dass sein Mitarbeiter die ihm übertragene Aufgabe selbständig erledigt - dass er also entscheidet, welche Mitarbeiter am besten an der Schulung teilnehmen sollen.

Doch Herr Ganesh geht gemäß der in Indien stärkeren Hierarchieorientierung ganz selbstverständlich davon aus, dass sein Chef die Entscheidung, ob ein bestimmter Mitarbeiter an der Schulung teilnimmt, selbst treffen wird. Das wird von einem Chef in Indien erwartet. Herr Ganesh bereitet daher die Entscheidung vor, indem er potenzielle Kandidaten für das Training identifiziert und dem Chef wohlüberlegte Vorschläge macht, wer geeignet sein könnte. Für ihn ist jedoch klar, dass die endgültige Bestimmung der Kandidaten nicht in seine Entscheidungskompetenz fällt. Er tut also, was aus seiner Sicht von ihm verlangt wird. Den Vorwurf, er habe eine Anweisung von Herrn Kremer nicht ausgeführt bzw. nicht selbständig gearbeitet, würde er klar zurückweisen. Für Herrn Kremer leidet daher das Vertrauen in seinen Mitarbeiter, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gibt.

Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 8.2.

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