Home › Vertrauensfallen › Beispiel - Airconditioner fehlt

Praxisbeispiel-Sammlung: Welche Vertrauensfallen haben international tätige Manager selbst erlebt?

Im Rahmen unserer Forschung zur Vertrauensentwicklung im internationalen Management haben wir eine Vielzahl an Erfahrungsberichten von Führungskräften analysiert. Unsere Praxisbeispiel-Sammlung erweitern wir kontinuierlich durch weitere Forschung sowie durch Zuschriften unserer Leser.

Beispiel: Airconditioner fehlt – Wasserhahn tropft

tl_files/VF-0-flaggen/Deutschland.png  tl_files/VF-0-flaggen/China.png    Deutschland-China

Auf Baustellen geht immer etwas schief, egal ob in Deutschland, China oder sonst irgendwo. Herr Praunges behauptet von sich, gute Nerven zu haben. Beim kürzlich abgeschlossenen Umbau der Büroräume seiner Repräsentanz in Shanghai glaubte er aber doch gelegentlich, an seinem Verstand zweifeln zu müssen:

"Die Renovierung unserer Büroräume war fast abgeschlossen, aber ich konnte in meinem Büro keinen Airconditioner erkennen. Also fragte ich den Bauleiter der betreffenden Firma, warum der Airconditioner hier nicht eingebaut worden war oder was es damit auf sich hatte.
Daraufhin erzählte der mir freundlich lächelnd, aber ohne es als Witz zu meinen, dass der Wasserhahn in der Toilette noch tropft und morgen, morgen würden sie das dann klären!
Ich nickte und fragte noch mal, ob da nicht der Airconditioner eingebaut werden müsste. Nun erzählte der nichts vom tropfenden Wasserhahn, sondern meinte, dass nächste Woche das Treppengeländer gestrichen werde und dass dann auch das Problem beseitigt sein werde.
Als ich dann noch mal wiederholte, dass mich jetzt nicht das Treppengeländer interessieren würde, sondern meine Aircondition, dass das gestrichene Geländer mein Büro auch nicht kühlen würde, merkte er langsam, dass ich mich nicht auf seine Ablenkungsmanöver einlassen würde. Es war klar, die hatten den Airconditioner glatt vergessen! Aber statt dass der Mensch sich entschuldigt hätte oder gesagt hätte, dass dieses Versehen morgen sofort behoben werden würde, wand er sich in aberwitzigen Ausflüchten, biss sich fast in die Unterlippe vor Lächeln und flüchtete schließlich mit einem Darum-Kümmern... Am nächsten Tag hatten sie das dann gemacht."

Quelle: Kulturstandardforschung / A. Thomas

Was ist passiert?

Für die Entwicklung von Vertrauen ist es wichtig, wie der andere mit Konflikten umgeht. Was ist hier passiert? Der Neubau ist fertig, der Chef bezieht sein Büro, und es stellt sich heraus, dass vergessen wurde, die Klimaanlage einzubauen. Da ist Herr Praunges verständlicherweise sauer. Er sieht die Baufirma bzw. den Bauleiter in der Pflicht, sich erstens zu entschuldigen und zweitens schnellstmöglich Abhilfe zu schaffen. Doch was macht der chinesische Bauleiter? Statt dass er auf Herrn Praunges Hinweis auf den fehlenden Airconditioner eingeht, lenkt er vom Thema ab und weicht dem Konflikt offensichtlich aus. Dies ist für Herrn Praunges ein Verhalten, dass Vertrauen beschädigt - und zwar in Bezug auf den Vertrauensfaktor 'Konflikte offen und proaktiv managen'.

Wie entsteht die Vertrauensfalle?

Doch ist Herrn Praunges Beobachtung tatsächlich zutreffend? Hier muss man wissen - und das ist zentral für die ‘Offenheit-verletzt!‘-Vertrauensfalle - dass eine wichtige Art kultureller Unterschiedlichkeit die Direktheit des Kommunikationsstils ist. Während im deutschen Wirtschaftskontext ein eher direkter Kommunikationsstil vorherrscht, ist der Kommunikationsstandard in vielen anderen Kulturen deutlich indirekter.

Im deutschen Unternehmenskontext gilt tendenziell die Einschätzung, dass bei Konflikten oder Schwierigkeiten eine proaktive Herangehensweise am hilfreichsten ist. Ein Problem oder ein Konflikt sollte nicht ignoriert oder verschwiegen werden, sondern die Devise lautet: Am besten geht man die Sache offen an, um möglichst schnell eine Lösung zu finden und das Problem aus der Welt schaffen zu können.

Ein solches proaktives Konfliktmanagement ist in vielen anderen Kulturen weder der Handlungsstandard noch die Erwartungshaltung der Beteiligten. In vielen Kulturen werden kritische und konfliktreiche Punkte – wenn überhaupt – nur sehr indirekt, sehr diplomatisch, nur in Form von Andeutungen angesprochen.

Für den Chinesen ist in der beschriebenen Situation klar, dass es nicht nötig ist, das Problem von seiner Seite aus noch einmal explizit anzusprechen. Gemäß dem in China vorherrschenden indirekten Kommunikationsstil hat er klar und deutlich signalisiert, dass er das Problem auch sieht und sich darum kümmern wird. Nur hat er dies eben nicht explizit in den Worten gesagt, die Herr Praunges erwartet, sondern er hat es indirekt, 'zwischen den Zeilen' zu verstehen gegeben: Um nicht das eigentliche Problem nennen zu müssen, spricht er stellvertretend von anderen Dingen, die sie zeitnah reparieren würden. Für den Chinesen ist diese Reaktion deutlich 'gesichtswahrender'. Man vermeidet in China, einen Fehler offen vor anderen zu thematisieren. Das zu tun wäre äußerst demütigend und erniedrigend für die andere Seite. Das zentrale Stichwort für das Verständnis des Fallbeispiels lautet 'Facework': Das ist das aktive Bemühen um die Wahrung des Gesichts, das in China in einem viel umfassenderen Maße wichtig ist als in der deutschen Kultur.

Was von dem Deutschen also als Ablenkungsmanöver und Ausflüchte wahrgenommen wird, ist für den Chinesen ein indirekter und gerade dadurch angemessener Weg, auf die Kritik und den Konflikt einzugehen. Für Herrn Praunges nimmt wegen der vermeintlichen Ausflüchte des chinesischen Bauleiters die Vertrauensbeziehung schaden - obwohl er eigentlich keinen Grund dazu hätte, denn es handelt sich gar nicht um Ausflüchte.

Eine ausführlichere Analyse des Beispiels finden Sie in unserer Publikation 'Vertrauensfallen im internationalen Management', Abschnitt 11.1.

[zurück zur Übersicht: Praxisbeispiel-Sammlung]